Preisprotest: Kontrolle der Fernwärmepreise

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Preisprotest: Kontrolle der Fernwärmepreise nach § 315 BGB und § 30 AVBFernwärmeV?

Eine Zeitlang häuften sich Einwendungen gegen Fernwärmepreise und Preiserhöhungen. Diese Preisproteste sind inzwischen wieder abgeflaut. Sie stützten sich zum Teil pauschal auf aus dem Internet herunter geladene Formularschreiben mit Hinweis auf eine Billigkeitskontrolle der Fernwärmepreise nach § 315 BGB. Oftmals wurden auch die Zahlungen eingestellt. Hier hatte die Fernwärmebranche unter den Energiepreisdiskussionen bei Strom und Gas zu leiden. Gelegentlich erhielten FVU auch Mitteilungen von Firmen, die in Fernwärmeverträge mit den Kunden eintreten wollten. Geschah dies, wurden Preisnachlässe verlangt und mit der Einstellung der Zahlungen – wieder unter Hinweis auf § 315 BGB – gedroht.

Um dieses Problem zu lösen, hatte Professor Dr. Ulrich Büdenbender, Technische Universität Dresden, Mitglied der Kanzlei Clifford Chance, im Auftrag der AGFW ein Rechtsgutachten erstattet. Professor Büdenbender hat dieses Gutachten der Öffentlichkeit auf dem AGFW-Infotag "Wo stehen wir heute und wie sieht die Zukunft aus?" am 15. März 2005 in Düsseldorf vorgestellt. Das Gutachten ist in der Schriftenreihe von Clifford Chance, Verlag etv GmbH, Essen, erschienen. Professor Büdenbender weist nach, dass § 315 BGB auf Fernwärme nicht anzuwenden ist.

Professor Büdenbender hat die tragenden Gedanken seines Gutachtens im März-Heft von Euroheat & Power auf S. 22 ff. veröffentlicht (Büdenbender und Wesche: "Ist die Preiskontrolle von Fernwärmeversorgungsverträgen nach § 315 BGB zulässig?"). Kühne (NJW 2006, 2520 ff.) hat nachgewiesen, dass § 19 GWB mit seinen zusätzlichen kartell- deliktsrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen gemäß § 33 GWB die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB verdrängt. 

Der Aufsatz Berkner/Topp/Kuhn/Tomala "Das Verhältnis von § 30 AVBFernwärmeV zu § 315 BGB im Blickwinkel der neuen Rechtsprechung" beschäftigt sich mit der Zulässigkeit von Zahlungsverweigerungen durch Fernwärmekunden unter Berücksichtigung der Regelungen des § 30 der Allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) sowie des § 315 BGB. Dabei geht es insbesondere um das Verhältnis beider Regelungen zueinander vor dem Hintergrund der Frage, ob das Bestreiten der Billigkeit der Preise – entgegen § 30 AVBFernwärmeV – Zurückbehaltungsrecht der Kunden begründet. Dazu wird die einschlägige Rechtsprechung des BGH zu § 315 BGB im Bereich Daseinsvorsorge auf ihre Übertragbarkeit auf die Fernwärmeversorgung hin untersucht. Daran schließt sich eine Analyse der Begründungen der Gerichtsentscheidungen zu Anwendbarkeit des § 315 Abs. 3 BGB im Zusammenhang mit Energielieferungen an.

Der Artikel "Das Verhältnis von § 30 AVBFernwärmeV und § 315 BGB im Blickwinkel der neuen Rechtsprechung" liegt zwischenzeitlich als Sonderdruck vor und steht für Mitglieder auf Bestellung (c.gerlach[at]agfw.de) zur Verfügung.

Die Konkurrenzsituation auf dem Wärmemarkt führt zu einer starken Stellung des Kunden. Es gibt deshalb keine marktbeherrschende Stellung von Wärmeversorgern, die eine Anwendung des § 315 BGB erfordern. Aus dem Argument der "Daseinsvorsorge" lässt sich ebenfalls nichts dafür ableiten (vgl. Zenke/Wollschläger/Topp "§ 315 BGB: Streit um Versorgerpreise", S. 209 ff).

Für unsere Mitglieder haben wir ein Beispiel für ein Antwortschreiben an Fernwärmekunden erstellt (Musterantwort, nur für Mitglieder).

Musterprozess entschieden:

Das Landgericht Ulm (ZNER 2005, 291 ff., mit Anm. Topp) hat unter Verwertung des AGFW-Gutachtens am 8. April 2005 sein Urteil gefällt: Fernwärmepreise unterliegen nicht der Kontrolle nach § 315 BGB und es besteht keine marktbeherrschende Stellung.

Grundsatzurteil des BGH lehnt Preiskontrolle bei Fernwärme ab:

Der Bundesgerichtshof hat mit Grundsatzurteil vom 11. Oktober 2006 (s. auch CuR 2006, Heft 4, 130 ff.; ZNER 2006, Heft 4, 341 f.; WuM, 2006, Heft 12, 689 ff.; IR 2007, 17 f. mit Anm. Topp; NJW 2007, Heft 4, 210 f.; RdE 2007 80 ff.; EWeRK Info 6/2007, S. 7 mit Anm. von Winter) entschieden, dass Fernwärme keiner Preiskontrolle nach § 315 BGB unterliegt und sich damit der AGFW-Auffassung angeschlossen. 

Im Einzelnen:

Der Bundesgerichtshof hat sich dem Gutachten Büdenbender in seinem Urteil vom 11. Oktober 2006 angeschlossen. In dem Leitsatz heißt es "Eine Billigkeitskontrolle der Preisgestaltung eines Fernwärmeversorgungsunternehmens gemäß § 315 Abs. 3 BGB ist ausgeschlossen, wenn die Berechnungsfaktoren für eine Preisänderung vertraglich so bestimmt sind, dass bei der Berechnung des geänderten Preises ein Ermessensspielraum nicht besteht (sog. automatische Preisgleitklausel)." Damit ist für den Standardfall der deutschen Fernwärmeversorgungsverträge mit einer Preisgleitklausel gemäß § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV eine Preisüberprüfung ausgeschlossen. Dies ist umso wichtiger, als die Volatilität der Fernwärmepreise wesentlich geringer ist als die bei Heizöl und Gas. Damit kann die Fernwärmewirtschaft ihrem Auftrag, zur Versorgungssicherheit und zum Umweltschutz beizutragen, besser gerecht werden. Durch das Urteil wird das Vertrauensverhältnis zwischen Versorgern und Kunden gestärkt. Das Urteil gilt nicht für allgemeine Wirtschaftsklauseln, in denen ein Preisänderungsrecht aufgrund einer Ermessensentscheidung vereinbart wird. 

Zugleich mach das BGH-Urteil deutlich, dass bei Preiserhöhungen alle Formalien eingehalten werden müssen. In dem Prozess hat die Vorschrift des § 24 Abs. 3 Satz 3 AVBFernwärmeV eine große Rolle gespielt. Danach muss bei Anwendung der Preisänderungsklausel der prozentuale Anteil des die Brennstoffkosten abdeckenden Preisfaktors an der jeweiligen Preisänderung gesondert ausgewiesen werden. Dies hatte der Versorger in dem konkreten Fall getan, weil der Brennstoff in der Preisänderungsklausel ausgewiesen war (Gaspreis mit dem Faktor von 0,93 und der Strompreis mit dem Faktor 0,07). Diese Preisänderungsklausel war bei der Begründung der Preiserhöhung wiedergegeben worden. Dies hatte dem Gericht genügt. In Zukunft wird der genaue Hinweis auf den Anteil der Brennstoffkosten besonders wichtig werden, um formelle Fehler auszuschließen.

Der Kunde hatte in dem Prozess bestritten, dass die zur Begründung der Preisänderung angegebenen Gaspreise zutreffend gewesen sind. Der Bundesgerichtshof ist dieser Frage nicht weiter nachgegangen, weil dieser Einwand gemäß § 30 AVBFernwärmeV ausgeschlossen ist. Nach § 30 AVBFernwärmeV darf man die Zahlung aufgrund eines angeblichen Rechnungsfehlers nämlich nur verweigern, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass ein offensichtlicher Fehler vorliegt. Das war hier aber nicht der Fall, da man über die Unrichtigkeit des Gaspreises Beweise hätte erheben müssen.

Außerdem ging es um die Frage, ob eine Mitbewohnerin des Kunden für die Zahlung der Rechnung haftbar gemacht werden konnte. Sie war in dem Vertrag eigens aufgeführt worden, hatte den Vertrag aber nicht selbst unterschrieben. Der BGH war der Auffassung, dass nur bei einer Unterzeichnung des Vertrages auch eine Verpflichtung zur Zahlung des Fernwärmepreises besteht.

Mit Urteil vom 17. Oktober 2012, VIII ZR 292/11 hat der BGH zudem entschieden, dass Fernwärmepreise auch keiner analogen Anwendung des § 315 BGB nach der sog. Monopolpreisrechtsprechung unterliegen. Anderenfalls würde die entsprechende Anwendung des § 315 BGB auf eine umfassende gerichtliche Kontrolle der Fernwärmepreise hinauslaufen. Dies würde der Zielstellung des Gesetzgebers, auf die Einführung eines Regulierungsrechts für Fernwärmepreise zu verzichten, widersprechen.

 

Weitere Urteile zur Preiskontrolle:

Die Preiskontrolle nach § 315 BGB findet - unabhängig von dem vorher Gesagten - keine Anwendung auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Handelsgesellschaften, z. B. zwischen einem FVU in der Form einer GmbH oder AG und einer Wohnungsbaugesellschaft.

BGH, Urteil vom 13. Juni 2007, VIII ZR 36/06 - Keine Monopole im Wärmemarkt
(mehr - Kurzerläuterung)

BGH, Urteil vom 5. Februar 2003, VIII ZR 111/02 (RdE 2003, 188)
Ein Urteil zur Darlegungs- und Beweislast im Rückforderungsprozess des Kunden eines Energieversorgungsunternehmens hat der BGH am 5. Februar 2003 gefällt (mehr).

BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 zur Überprüfung von Preisen für die Durchleitung elektrischer Energie durch fremde Stromnetze (mehr).

Das Landgericht Karlsruhe hat am 3. Februar 2006 in einem Berufungsurteil festgestellt, dass eine Preiskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB nicht in Betracht kommt, wenn der Preis durch Vertrag oder Tarif bestimmt ist. Eine Preiskontrolle richtet sich dann ausschließlich nach § 19 GWB. Das Urteil ist zur Gasversorgung ergangen, aber ohne weiteres auf Fernwärme anwendbar. Das Landgericht Potsdam hat in seinem Urteil vom 15. Mai 2006 erstmals festgestellt, dass in einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt für die Anwendung des § 315 BGB kein Raum bleibt.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 23. Februar 2005 entschieden, dass das Fernwärmeversorgungsunternehmen seine Kalkulation nicht offenzulegen hat, sondern der Kunde nach § 30 AVBFernwärmeV vorleistungspflichtig ist. Die These zu § 30 AVBFernwärmeV hat das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 14. Januar 2005 ausführlich begründet. 

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat mit Urteil vom 16. März 2006 in II. Instanz ebenfalls entschieden, dass § 315 BGB auf Fernwärmepreise nicht anzuwenden ist. Das Oberlandesgericht Brandenburg hat seine Entscheidung mit dem Urteil vom 21. Juni 2006 bekräftigt. Es erteilt insbesondere der gelegentlich zu hörenden Auffassung eine Absage, dass die Kunden einen "Anspruch auf Offenlegung der Kalkulation" hätten, vgl. Anmerkung.

Der BGH hat in einem Fernwärme-Fall mit Urteil vom 15. Februar 2006 entschieden, dass die Verträge gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 AVBFernwärmeV zustande kommen und deshalb § 315 BGB nicht anzuwenden ist. Damit wird erstmals vom BGH anerkannt, dass die Verhältnisse bei Fernwärme eine automatische Anwendung des § 315 BGB nicht zulassen. § 30 AVBFernwärmeV wurde einschränkend ausgelegt.

Das Landgericht Aurich lehnt mit Urteil vom 10. März 2006, 3 O 293/05, ebenfalls die Preiskontrolle nach § 315 BGB ab. Das Obelrandesgericht Oldenburg hat dieses Urteil mit Beschluss vom 28. September 2006 bestätigt und bekräftigt, dass bereits die jahrelange übereinstimmende Abrechnung jede Preiskontrolle ausschließt (vgl. Wollschläger, IR 2006, S. 257 f.).

Für den Bereich der Fernwärme ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV eine Sonderregelung zu Preisanpassungen in laufenden Verträgen getroffen hat. Das Zusammenspiel dieser Norm mit § 315 BGB wird im folgenden Beitrag  erörtert. Außerdem wird in einem Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten von Preisanpassungen in laufenden Fernwärmeversorgungsverträgen informiert: "Die Anpassung von Fernwärmepreisen in laufenden Verträgen".

Das Börnsen-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juli 2002 und der Preisprotest gemäß § 315 BGB (mehr)

Hat der Vermieter eine Energiekostenrechnung wegen § 315 gekürzt und Teile einbehalten, kann er gleichwohl den vollen Betrag der Energiekostenrechnung in seine Nebenkostenabrechnung einstellen. Er muss die Angelegenheit nur rückabwickeln, wenn die Auseinandersetzung zwischen Vermieter und Energielieferant endgültig geklärt ist (Kleine Arndt, WuM 2006, 479 f.).

Das Landgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 8.2.2006 zu Recht festgestellt, dass Einwendungen gegen Energiepreise nicht zur Zurückbehaltung des gesamten Betrages berechtigen und der Versorger deshalb berechtigt ist, die Lieferung zu sperren.

Das OLG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 23.4.2007 festgestellt: Bei der Gründung von Wohnungseigentümergemeinschaften kann die Wärmeversorgung im Wege des Contracting den Stadtwerken  übertragen werden. Der Wärmeversorger kann dabei gemäß § 95 Abs. 2 BGB dem Contractoren zugeordnet werden. Der Inhalt des Wärmeversorgungsvertrages kann vom Bauherrn nach § 315 BGB vorgegeben werden. (mehr)

Das Landgericht Oldenburg unterwirft die Preiserhöhung bei Gastarifkunden der Billigkeitskontrolle. Das GVU hatte durch Wirtschaftsprüfergutachten überzeugend nachgewiesen, dass nur die gestiegenen Lieferantenkosten weitergegeben worden waren (Urteile 9 S 59/06, 9 S 574/06, 9 S 770/06, 9 S 561/06 vom 29.11.2007).

Das Landgericht Itzehoe hat mit Urteil vom 18.11.2008 nochmals ausdrücklich hervorgehoben, dass Fernwärmepreise keiner Kontrolle nach § 315 BGB oder § 307 BGB unterliegen, sondern sich eine Kontrolle nur an § 24 Abs. 3 AVBFernwärmeV auszurichten hat.

Preisänderungsklauseln unterliegen dann keiner gerichtlichen Inhaltskontrolle nach § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV, wenn sie individuell ausgehandelt sind. Dies betrifft insbesondere Wärmeversorgungsprojekte, die auf die besonderen Bedürfnisse des Wärmekunden zugeschnitten sind. Das OLG Nürnberg hat dies in mehreren Beschlüssen vom 10. November 2010 (beispielsweise Beschluss 12 U 564/10) für folgende Situationen anerkannt: 'Ist eine Fernheizanlage faktisch nur auf die Bedürfnisse eines einzigen oder einiger weniger Hauptabnehmer abgestellt, werden die diesbezüglichen Fernwärmelieferungsverträge bereits vor Errichtung einer solchen Fernheizanlage abgeschlossen und ist der Abschluss entsprechender Verträge mit Abnehmern Grundlage für die Investitionsentscheidung zur Errichtung der Fernheizanlage, so können Preisanpassungsklauseln in den Fernwärmelieferungsverträgen bereits deshalb als individuell ausgehandelt zu bewerten sein.' [Wörtliches Zitat des Leitsatzes]

Die Rechtslage zu § 315 BGB unter Einbezug der Fernwärme wird zusammengefasst und bewertet von Büdenbender in NJW 2007, Heft 41, S. 2945 ff.

Es ist zu beachten:
Preisänderungsklauseln können auch nach § 307 BGB unwirksam sein. Bei Gas kann die Billigkeit der Preise dargelegt werden, ohne die Preiskalkulation im Einzelnen aufdecken zu müssen (AG Osterode am Harz, Urteil vom 08.09.2006, 2C 122/06 (I). (mehr)

Die AGFW hat einige Rechtsprechung und Literatur zur Problematik der §§ 315 BGB und 30 AVBFernwärmeV zusammengestellt.

Für Fragen steht Ihnen die Geschäftsstelle zur Verfügung (RA Dr. Norman Fricke (Syndikusrechtsanwalt), n.fricke[at]agfw.de, Tel. 069 6304-207).