Hintergrundinformationen
Ein großer Teil der Treibhausgasemissionen in Deutschland entfällt auf die Wärmeversorgung. Mit treibhausgasfreiem Strom betriebene Großwärmepumpen (GWP) können wesentlich dazu beitragen, diese Werte zu verringern. Im Reallabor der Energiewende „Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen – Installation, Betrieb, Monitoring und Systemeinbindung“ werden die Anlagen nun erstmalig in größerem Umfang in Deutschland in Fernwärmenetze angebunden.
Das Reallabor GWP wurde vom Energieeffizienzverband AGFW zusammen mit den Projektpartnern EnBW, Fraunhofer ISE, Fernheizwerk Neukölln, MVV, Stadtwerke Rosenheim, Vattenfall Wärme Berlin sowie dem IER der Universität Stuttgart ins Leben gerufen.
An fünf Standorten in Deutschland werden Projektpartner in den nächsten Jahren Großwärmepumpen in bestehende Fernwärmesysteme integrieren. Neben technischen Erkenntnissen möchten sie in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen herausfinden, wie regulatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen angepasst werden könnten, um Großwärmepumpen im Fernwärmemarkt zu etablieren.
Außerdem erproben die Teams vor Ort effiziente Betriebskonzepte für den Einsatz von Großwärmepumpen. Dadurch könnte ein nachhaltiger und wirtschaftlich effektiver Beitrag zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung in Deutschland geleistet werden.
Gewinner des BMWi-Ideenwettbewerbs
Mit dem Reallabor GWP startet das dritte Reallabor der Energiewende im Forschungsbereich Gebäude und Quartiere. Es zählt zu den 20 Gewinnern des Ideenwettbewerbs Reallabore der Energiewende, die Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im Juli 2019 verkündet hat.
Die „Reallabore der Energiewende“ bringen innovative Technologien in die Anwendung und erproben sie im industriellen Maßstab und unter realen Bedingungen.
Herausforderung: Großwärmepumpen optimal in das deutsche Energiesystem einbinden
Aktuell können Großwärmepumpen in Deutschland ohne Förderung nicht wirtschaftlich betrieben werden. Grund dafür sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen, speziell die hohen Entgelte und Umlagen für Endverbraucher auf Strom.
Außerdem fehlt es bislang an klaren Anleitungen und Erfahrungen, wie Großwärmepumpen optimal in das deutsche Energiesystem eingebunden werden können. Im Reallabor GWP werden hierfür Lösungen entwickelt.
Die Projektbeteiligten werden Großwärmepumpen an Kraftwerksstandorten in Berlin, Stuttgart, Mannheim und Rosenheim errichten. Die Liegenschaftspartner planen die Anlagen nah an bestehenden Wärmeerzeugerstandorten.
Damit die Anschlusskosten für die neuen Technologien möglichst niedrig bleiben, sollen vor Ort jeweils ausreichend hohe Wärmequellenleistungen aus Flusswasser oder Niedertemperaturabwärme zur Verfügung stehen.
Großwärmepumpen können im Vergleich zu dezentralen Wärmepumpen große natürliche Wärmequellen und industrielle Abwärmequellen mit hohem Energiepotenzial auf niedrigem Temperaturniveau nutzen. Oft liegen diese nicht in direkter Nähe der Wärmeverbraucher oder können von Einzelverbrauchern aufgrund ihrer Größe nicht erschlossen werden.
Insbesondere in Gebieten mit hohem spezifischem Wärmebedarf, die mit Fernwärme versorgt werden können oder bereits versorgt sind, wird durch Großwärmepumpen eine effiziente Strombasierte Wärmeversorgung ermöglicht.
Ergebnisse auf andere Standorte übertragbar
Wesentliche Unterschiede zwischen den Liegenschaften des Reallabors GWP finden sich in der Leistung der einzubindenden Wärmepumpen von 1,12 bis 22 Megawatt und in der Art der Wärmequellen. Weitere Kriterien sind die zu ergänzende, bestehende Erzeugerstruktur und die Lage im Stromnetz. Ob sich diese in Nord- oder Süddeutschland befindet, hat erheblichen Einfluss auf die Betriebsweise der Anlage.
Den Bedarfen der regionalen Wärmenetze entsprechend werden die Betriebsparameter der Wärmepumpen angepasst. So können die Einflussgrößen besser untersucht werden. Darüber hinaus ist die Struktur der Wärmekunden, von Wohnungswirtschaft bis industrielle Wärme, verschieden. Die Unterschiedlichkeit der Liegenschaften stellt sicher, dass die Ergebnisse auch auf andere Gebiete in Deutschland übertragen werden können.
Die am Projekt beteiligten Fernwärmeversorger planen und errichten die Großwärmepumpen und nehmen diese in Betrieb. Anschließend kontrollieren und optimieren sie in Zusammenarbeit mit den wissenschaftlichen Projektpartnern über einen längeren Zeitraum deren Funktion.
Die fünf Liegenschaften im Profil
Kraftwerksstandort Stuttgart
Die Umsetzung des Großwärmepumpenprojektes bei der EnBW erfolgt am Erzeugungs-standort des Restmüllheizkraftwerks Stuttgart-Münster, einem der wesentlichen Erzeugungsstandorte im Fernwärmenetz der Region Stuttgart. Das Restmüllheizkraftwerks ist eine Sammelschienenanlage mit drei Müll- und drei Kohlekesseln, sowie weiteren Gasturbinen. Die Anlage ist spielt eine wesentliche Rolle bei der Abfallentsorgung in Baden-Würtemberg. Die Fernwärmeauskopplung aus den Dampfsammelschienen erfolgt derzeit über eine Gegendruck- und zwei Entnahme-Kondensationsdampfturbinen sowie mehrere hydraulisch getrennte Fernwärmenetze. Die angestrebte Wärmeleistung der Großwärmepumpe soll bei rd. 22 MW liegen. Der Antrieb wird über am Standort erzeugten „Grünstrom“ erfolgen.
- Erzeugerpark vor Projektbeginn: 3 Müllkessel, 3 Kohlekessel
- Elektrische Leistung vor Projektbeginn: 183 MW
- Thermische Leistung vor Projektbeginn: 450 MW
- Geplante thermische Leistung der Großwärmepumpe: 20 MW
- Wärmequelle: Kühlwasser
- Besonderheiten: Standort mit sehr engen Platzverhältnissen unter Beibehaltung der Versorgungsleistung
Kraftwerksstandort Berlin-Neukölln
Am Standort des Heizwerkes befinden sich über sieben Großkesselanlagen und sieben Blockheizkraftwerke. Die eingesetzten Brennstoffe sind Erdgas, Steinkohle, Holzpellets, Biomethan und Heizöl. Am Standort stehen für die zu installierenden Großwärmepumpen zusätzliche potenzielle Wärmequellen wie Flusswasserwärme oder Geothermie zur Verfügung.
- Erzeugerpark vor Projektbeginn: 7 Großkesselanlagen und 8 BHKW
- Elektrische Leistung vor Projektbeginn: 11,4 MW
- Thermische Leistung vor Projektbeginn: 192 MW
- Genutzte Energieträger vor Projektbeginn: Erdgas, Steinkohle, Holzpellets, Biomethan und Heizöl
- Geplante thermische Leistung der Großwärmepumpe: 1,3 MW
- Wärmequelle: BHKW Ladeluftkühlung
- Besonderheiten: 300 MWh Wärmespeicher und 10 MW PtH-Anlage
Kraftwerksstandort Mannheim
Das Grosskraftwerk Mannheim, das am Rhein liegt, zeichnet sich durch sehr leistungsfähige Wasserentnahme- und Rücklaufeinrichtungen aus. Diese eignen sich optimal als Wärmequelle für eine Großwärmepumpe.
Drei Dampferzeuger sind in dem Kraftwerk über eine Dampfsammelschiene miteinander verbunden und können so flexibel alle nachgeschalteten Kondensationsturbinen, Bahnstromturbinen und Gegendruck-Heizturbinen entsprechend des Bedarfs mit Dampf versorgen.
- Erzeugerpark vor Projektbeginn: 4 Heizkraftwerksblöcke
- Elektrische Leistung vor Projektbeginn: 1.958 MW
- Thermische Leistung vor Projektbeginn: 1.500 MW
- Genutzte Energieträger vor Projektbeginn: Steinkohle
- Geplante thermische Leistung der Großwärmepumpe: 20 MW
- Wärmequelle: Rheinwasser / Kühlwasser
- Besonderheiten: Kurze Leitungswege, sehr gute Infrastruktur am Standort vorhanden, 43.000 m³ Fernwärmespeicher
Kraftwerksstandort Rosenheim
An diesem Standort ist der Betrieb mehrerer Großwärmepumpen in einem Heizkraftwerk im Rahmen von drei iKWK-Systemen geplant. Die installierte Heizleistung der ersten Ausbaustufe im iKWK-System soll im ersten Quartal 2022 etwa 1.500 kW betragen.
Das zentrale Kraftwerkssystem der Stadtwerke Rosenheim besteht aus einem Müllkessel mit einer Dampfleistung von 30 Tonnen pro Stunde, zwei gasgefeuerten Dampfhochdruckkesseln mit einer Leistung bis 40 Tonnen Dampf pro Stunde, zwei Dampfturbinen, einem Reserve- und Spitzenheizwerk sowie sieben Blockheizkraftwerken.
- Erzeugerpark vor Projektbeginn: Müllkessel, Dampfturbinen, Heizwerke, BHKW
- Elektrische Leistung vor Projektbeginn: 33 MW
- Thermische Leistung vor Projektbeginn: 115 MW
- Genutzte Energieträger vor Projektbeginn: Müll, Erdgas, Biomethan, Holzgas
- Geplante thermische Leistung der Großwärmepumpe: 1,5 MW
- Wärmequelle: Bachwasser
- Besonderheiten: 2 weitere GWP im Rahmen von iKWK sind ebenfalls messtechnisch in das Reallabor GWP eingebunden.
Kraftwerksstandort Berlin-Köpenick
Beim Großwärmepumpen-Projekt an diesem Standort werden verschiedene Wärmequellen, unter anderem Solarthermie und Abwärme genutzt. Um die benötigten Vorlauftemperaturen bereitstellen zu können, soll die Temperaturanpassung über eine Großwärmepumpe durchgeführt werden. Die Wärmepumpe wird teilweise mit Strom aus einer neuen PV-Anlage versorgt.
Im Ergebnis soll so nachgewiesen werden, dass eine Kombination verschiedenster Wärmequellen mit einer Großwärmepumpe möglich ist und höhere Einsparungen bringen kann als die Nutzung einer einzigen Wärmequelle . Darüber hinaus soll die Möglichkeit erforscht werden, den Tages- und Jahresnutzungsgrad der Solarthermie durch den Einsatz der Großwärmepumpe zu erhöhen.
- 2 Gasturbinen, 3 Heißwassererzeuger, 1 BHKW
- Elektrische Leistung vor Projektbeginn: 10,6 MW
- Thermische Leistung vor Projektbeginn: 50 MW
- Genutzte Energieträger: Erdgas und Biomethan
- Geplante thermische Leistung der Großwärmepumpe: 1,2 MW
- Wärmequellen: Solarthermie, Abwärme aus Gasturbinen und BHKW, Luftwärme,
- Besonderheiten: Kombination von PV, Solarthermie, WP und Fernwärme
Großwärmepumpen leisten Beitrag zur Sektorkopplung
Die installierten Anlagen haben das Potenzial, erneuerbaren Strom mit hoher Effizienz in neue sowie bestehende Fernwärmesysteme einzuspeisen. Im Vergleich zu Elektroboilern haben sie einen vielfach geringeren Stromverbrauch pro erzeugter Wärmeeinheit. In Zusammenarbeit mit Fernwärmespeichern sorgen sie für eine zeitweise Entkopplung von Stromerzeugung und Strombedarf und können somit einen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes beitragen. So tragen sie maßgeblich zur Sektorkopplung und -flexibilisierung der Energiewende im Stromsektor bei.
Höhere Temperaturen als bei dezentralen Anlagen
Die Besonderheiten der Großwärmepumpen für die Fernwärme bringen zugleich einige Herausforderungen mit. Zum Beispiel müssen die Großwärmepumpen an die Temperaturniveaus der angeschlossenen Fernwärme angepasst werden. Doch diese liegen in der Regel höher als bei dezentralen Anlagen. Daher unterscheiden sich Betriebsparameter wie Drücke, Temperaturen und auch Kältemittel deutlich von kleineren Wärmepumpen.
Des Weiteren orientiert sich die Betriebsweise von Großwärmepumpen an einem Netzbedarfsprofil und weniger an Einzelverbraucherprofilen. „Bei großen Wärmepumpen in Fernheiznetzen ist es eine große Herausforderung, den systembedingten Nachteil der höheren Heiztemperaturen durch höhere Wirkungsgrade der Einzelkomponenten zumindest teilweise zu kompensieren. Große Wärmepumpen bieten hier grundsätzlich mehr Potential zur Umsetzung aufwendigerer Optimierungen als kleine dezentrale Anlagen“, so Dr. Andrej Jentsch von der AGFW (Effizienzverband für Wärme, Kälte und KWK) und Projektleiter des Reallabors GWP .
Mit Blick auf die im Vergleich zu dezentralen Anlagen meist geringere Jahresarbeitszahl ist festzuhalten, dass beide Technologien selten direkt konkurrieren. Da dezentrale Wärmepumpen eine räumliche Nähe zu ausreichend großen Wärmequellen benötigen, werden sie eher in Wohngebieten mit geringer Wärmebedarfsdichte, wie etwa Einfamilienhaussiedlungen, eingesetzt. Für die Versorgung von verdichteten, städtischen Gebieten mit vielen Mehrfamilienhäusern, oder Großverbrauchern, wie der Industrie, bieten sich Großwärmepumpen an.
Größere Anlagen in Skandinavien bereits in Betrieb
Im Reallabor GWP sind Großwärmepumpen in einer Größenordnung von bis zu 22 MW Wärmeleistung pro Projekt geplant. Auch größere Anlagen, mit einer Systemleistung durch mehrere Aggregate von bis zu 180 MW Wärmeleistung sind bereits in Skandinavien in Betrieb. In das Fernwärmesystem von Stockholm werden insgesamt schon 420 MW an Wärme aus Großwärmpumpen eingespeist.
„Diese Anlagen können allerdings vorrangig als Inspiration und weniger als direkte Vorbilder angesehen werden, da der deutsche regulatorische Rahmen sich wesentlich vom skandinavischen unterscheidet und auch die Fernwärmenetze historisch bedingt anders aufgebaut sind“, erklärt Dr. Andrej Jentsch. Er ergänzt: „Grundsätzlich kann ein Blick nach Skandinavien jedoch helfen, vielversprechende Lösungen zu identifizieren und diese als Grundlage für Weiterentwicklung von Großwärmepumpen in Deutschland zugrunde zu legen“.