Wegenutzungsverträge für Fernwärmeleitungen

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Wegenutzungsverträge für Fernwärmeleitungen

1. Begriff
Wegenutzungsverträge sind privatrechtliche Verträge, mit denen die Gemeinde Unternehmen das Recht gewährt, ihre Verkehrswege zur Verlegung von Versorgungsleitungen zu nutzen. Wegenutzungsverträge für Fernwärmeleitungen werden seit jeher als Gestattungsverträge bezeichnet. Damit wird sprachlich klargestellt, dass sich der Rechtsrahmen erheblich von dem für Strom- und Gasnetze der allgemeinen Versorgung geltenden Rechtsrahmen (dort: § 46 Abs. 2 EnWG) unterscheidet. Für diese Wegenutzungsverträge hingegen hat sich der Begriff „Konzessionsvertrag“ eingebürgert.

2. Keine Ausschließlichkeitsrechte 
Gestattungsverträge, die einem Fernwärmeversorgungsunternehmen das ausschließliche Recht gewähren, im Gemeindegebiet Fernwärmeleitungen zu errichten, verstoßen gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB) und sind daher unzulässig. Das war für Fernwärmeleitungen schon immer so. Ganz im Gegensatz dazu die Strom- und Gasversorgung, bei der zu Zeiten der monopolisierten Energiewirtschaft (bis 1998) Ausschließlichkeitsrechte kartellrechtlich geduldet wurden (§ 103 GWB a. F.).  Die Fernwärme war damit schon immer liberalisiert. Aus diesem Grunde sind in vielen Städten seit jeher mehrere Fernwärmeversorgungsunternehmen mit eigenen Netzen tätig. Daher gibt es keinen „örtlichen Fernwärmeversorger“ schlechthin.

3. Inhalt des Gestattungsvertrages
Die Vertragspartner können den Inhalt des Gestattungsvertrags im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich frei vereinbaren. Die Vorgaben des § 46 Abs. 2 EnWG gelten nicht für Gestattungsverträge, weil das EnWG nur für Strom- und Gaswegenutzungsverträge gilt. Es gilt auch nicht analog, weil der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, die Fernwärme in das EnWG einzubeziehen (BT-Drucks. 15/3917, S. 47).  

Die Laufzeit der Gestattungsverträge kann frei vereinbart werden. Vor allem gilt die zeitliche Obergrenze von 20 Jahren des § 46 Abs. 2 S. 1 EnWG nicht. In der Praxis wird der Vertrag für eine weitaus längere Zeit oder unbefristet geschlossen. Das liegt vor allem daran, dass die Investition in den Aufbau eines Fernwärmeversorgungsnetzes besonders kostenträchtig ist und nur über sehr lange Zeiträume refinanziert werden kann.

Ebenso kann die Gegenleistung für das Wegenutzungsrecht der Gemeinde (Gestattungsentgelt) im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich frei vereinbart werden. Die Regeln der §§ 1 ff. KAV gelten nur für Strom- und Gasnetze. Die §§ 1 ff. KAEAnO betreffen nur Wassernetze. Die Vereinbarung des Gestattungsentgelts unterliegt steuer- und kartellrechtlichen Grenzen: Fricke: "Gestattungsentgelte in der Fernwärmewirtschaft" , RdE 2009, S. 329 ff.

AGFW-Mitglieder finden hier das Muster eines Gestattungsvertrags.

4. Anspruch des Fernwärmeversorgungsunternehmens auf Abschluss eines Gestattungsvertrags
Jedes Fernwärmeversorgungsunternehmen hat nach Auffassung des AGFW gegenüber der Gemeinde einen Anspruch auf Abschluss eines Gestattungsvertrags:

  • BKartA: Abschlussbericht Sektoruntersuchung Fernwärme 2012, Rn. 254
  • Körber, Kartellrechtlicher Anspruch auf Einräumung von Wegenutzungsverträgen für die Verlegung von Fernwärmeleitungen, 2020
  • Haellmigk/Wippich: „Der Anspruch auf Wiedereinräumung von Wegenutzungsverträgen im Fernwärmebereich“, RdE 2011, S. 248 ff.
  • Topp: „Müssen Fernwärmenetze ausgeschrieben werden?“, EuroHeat&Power 4/2013, S. 21 ff.  

Der BGH hat jedoch mit Urteil vom 5.12.2023, KZR 101/20 entschieden, dass ein solcher Anspruch nur dann besteht, wenn der Aufbau paralleler Fernwärmesysteme wirtschaftlich und technisch möglich ist.

Der nach Auffassung des AGFW generell bestehende kartellrechtliche Anspruch auf Erteilung eines Gestattungsrechts beruht auf dem „Wegemonopol“ der Gemeinde. Die Gemeinde ist als Inhaberin des örtlichen Wegenetzes marktbeherrschend im Sinne des § 18 GWB und unterliegt deshalb kartellrechtlichen Bindungen:  

  • BGH, Urteil vom 11.11.2008, KZR 43/07 
    RdE 2009, S. 378 ff. mit Anm. Fricke, RdE 2009, S. 380 ff. und Topp, IR 2009, S.155 f. 
  • BGH, Urteil vom 17.12.2013, KZR 66/11
    RdE 2014, S. 177 ff. mit Anm. Scholtka/Keller-Herder, RdE 2014, S. 189 ff.
  • BKartA: Abschlussbericht Sektoruntersuchung Fernwärme 2012, Rn. 253 

5. Kein Anspruch der Gemeinde auf Erwerb der Fernwärmeleitungen nach Ende eines Gestattungsvertrags  
Gemeinden haben keinen Anspruch auf Erwerb der Fernwärmeleitungen nach Ende eines Gestattungsvertrags. Es gibt keinen gesetzlichen Übereignungsanspruch der Gemeinde. Der gesetzliche Übereignungsanspruch, der für Strom- und Gasnetze gem. § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG gilt, gilt für Fernwärmeleitungen weder unmittelbar noch analog.  

Gelegentlich vereinbaren die Vertragspartner des Gestattungsvertrags einen vertraglichen Übereignungsanspruch zugunsten der Gemeinde für den Fall, dass der Gestattungsvertrag endet (sog. Endschaftsklausel). Eine solche Endschaftsklausel stellt einen Konditionenmissbrauch gem. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB dar und ist deshalb unwirksam:

  • Fricke, Anm. zu BGH, Urteil vom 11.11.2008, KZR 43/07, RdE 2009, S. 380 ff.  

Im Übrigen hat das Fernwärmeversorgungsunternehmen nach Ende des ursprünglichen Gestattungsvertrags einen Anspruch auf Abschluss eines neuen Vertrags. Dann kommt die Endschaftsklausel nicht zum Zug:  

  • Haellmigk/Wippich: Der Anspruch auf Wiedereinräumung von Wegenutzungsverträgen im Fernwärmebereich“, RdE 2011, S. 248 ff.
  • Körber, Kartellrechtlicher Anspruch auf Einräumung von Wegenutzungsverträgen für die Verlegung von Fernwärmeleitungen, 2020

6. Keine Ausschreibungspflicht von Gestattungsverträgen  
Gestattungsverträge sind grundsätzlich nicht ausschreibungspflichtig. Sie sind aus kartellrechtlichen Gründen nicht ausschreibungspflichtig, weil jedem Fernwärmeversorgungsunternehmen nicht-ausschließliche Wegerechte einzuräumen sind: 

  • BKartA: Abschlussbericht Sektoruntersuchung Fernwärme 2012, Rn. 254 
  • Körber, in Körber/Kühling, Ausschreibung von Fernwärmenetzen?, 2016
  • Körber, Kartellrechtlicher Anspruch auf Einräumung von Wegenutzungsverträgen für die Verlegung von Fernwärmeleitungen, 2020

Gestattungsverträge sind auch nicht aus vergaberechtlichen Gründen ausschreibungspflichtig, weil sich die Gemeinde mit dem Gestattungsvertrag nichts beschafft:  

  • Kühling, in Körber/Kühling, Ausschreibung von Fernwärmenetzen?, 2016
  • Topp: „Müssen Fernwärmenetze ausgeschrieben werden?“, EuroHeat&Power 4/2013, S. 21 ff.

Der BGH hat jedoch mit Urteil vom 5.12.2023, KZR 101/20 entschieden, dass Kommunen nach eigenem Ermessen Auswahlverfahren durchführen dürfen. Diese Ansicht steht nach Auffassung des AGFW nicht in Einklang mit kartellrechtlichen Prinzipien. Dies wird bestätigt durch:

  • Baumgart, Ausschreibungspflicht und Ausschreibungsrecht für Wegenutzungsrechte für Fernwärmeleitungen nach BGH, Urt. v. 05.12.2023 – KZE 101/20 – Fernwärmenetz Stuttgart – Teil 1, RdE 2024, S. 225 ff.
  • Baumgart, Ausschreibungspflicht und Ausschreibungsrecht für Wegenutzungsrechte für Fernwärmeleitungen nach BGH, Urt. v. 05.12.2023 – KZE 101/20 – Fernwärmenetz Stuttgart – Teil 2, RdE 2024, S. 289 ff.

Die Fachaufsätze von Baumgart beruhen auf einem vom AGFW in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. Eine Kurzfassung des Gutachtens ist erschienen in EuroHeat&Power 9/2024, S. 14 ff. Das Gutachten steht im Mitgliederbereich nach Anmeldung hier zur Verfügung.