Taxonomie: Kommission veröffentlicht Nachhaltigkeitskriterien für Kernenergie- und Erdgasaktivitäten
In den letzten Stunden des vergangenen Jahres hat die Europäische Kommission die lange erwartete ergänzende Rechtsverordnung zur Einbeziehung bestimmter Kernenergie- und Erdgasaktivitäten in die europäische Taxonomie-Verordnung vorgelegt. Der nun veröffentliche Entwurf soll festlegen, unter welchen Bedingungen Investitionen in den Nuklear- oder Erdgassektor durch den Finanzmarkt künftig als nachhaltig eingestuft werden können. Dies bedeutet zwar zunächst, dass es künftig prinzipiell möglich sein wird, Investitionen in erdgasbetriebene KWK-Kraftwerke Taxonomie-konform als „nachhaltig“ klassifizieren zu lassen, ein genauerer Blick lässt jedoch vermuten, dass in der Praxis zahlreiche Projekte am umfangreichen Anforderungskatalog der Kommission scheitern dürften.
Erdgas-Kriterien schwer erfüllbar
Denn obwohl die Kommission mit dem vorgesehenen Emissionsschwellenwert von 270 g CO2e/kWh für KWK-Anlagen, welche bis spätestens 2030 genehmigt worden sind, einen grundsätzlich geeigneten Maßstab zur Bilanzierung einführt, bleiben die kumulativen Zusatzanforderungen in der Gesamtschau extrem herausfordernd. So sind erdgasgefeuerte KWK-Anlagen grundsätzlich nur dann Taxonomie-konform, wenn sie bestehende mit fossilen Festbrennstoffen gefeuerte Anlagen ersetzen und alternative erneuerbare Erzeugungsquellen nicht zur Verfügung stehen. Die modernisierte Anlage muss dabei zudem mindestens zu einer Emissionsreduktion von 55 % pro kWh des Energie-Outputs führen. Dieses starre Reduktionserfordernis wird so zwar Umstellungen von Braunkohle auf Erdgas ermöglichen, wohl aber zugleich eine entsprechende Modernisierung von Steinkohle-Anlagen nicht erfassen können. Da die KWK bereits heute mit sehr hohen Wirkungsgraden arbeitet, wird sie damit letztlich für die eigene Effizienz „bestraft“, weil zusätzliche Effizienzsteigerungen keine ausreichenden Sprünge in der Emissionsreduktion bezogen auf den Ausgangswert der Bestandsanlage mehr erbringen können.
Hinzu kommt die Inklusion eines progressiven „Renewable Ready“-Kriteriums, die aber nicht als reine Fähigkeitsanforderung, sondern im Sinne einer Nutzungsverpflichtung verstanden wird. Dies bedeutet konkret, dass Taxonomie-konforme Kraftwerke bereits zum 1. Januar 2026 mit mindestens 30 % klimaneutralen Gasen befeuert werden müssen. Dieser Anteil wird im Jahr 2030 zudem auf 55 % steigen, bevor dann eine vollständige klimaneutrale Umstellung bis Ende 2035 erfolgen muss. Dabei ist nicht nur der vorgeschlagene Zielpfad im Lichte aktueller Verfügbarkeitsprognosen von klimaneutralen Gasen schlicht unrealistisch, die Formulierung des „Renewable Ready“-Kriteriums als Nutzungsverpflichtung lässt zudem außer Acht, dass die künftige Verfügbarkeit klimaneutraler Gase regelmäßig außerhalb des Kontroll- und Einflussbereichs des Kraftwerksbetreibers liegen wird.
Die Erzeugungskapazität der neuen Anlage darf die Kapazität der Altanlage zudem nicht überschreiten. Für den Kraftwerksbetreiber wird es unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit bei einem gleichzeitig politisch gewollten Ausbau der Fernwärme-Versorgung damit zusätzlich schwieriger, seine KWK-Investitionen Taxonomie-konform auszugestalten, da er den Mehrbedarf an Erzeugungskapazität auch kurzfristig nicht über einen Ausbau der Gas-KWK kompensieren darf.
Die Branche wird damit speziell bei der mittelfristigen Restrukturierung ihres Erzeugungsportfolios weiterhin auf Finanzierungsmöglichkeiten außerhalb des künftigen Geltungsbereichs der Taxonomie angewiesen sein. Bei einer Ausweitung der Taxonomie-Verordnung als Orientierungsmaßstab für öffentliche Investitionen im Rahmen des Beihilferechts oder für Finanzierungspartner der öffentlichen Hand bestünde indessen das Risiko, dass sich die vorzeitige Realisierung des Kohleausstiegs gerade im Hinblick auf den Ersatz von Steinkohle-Anlagen verzögern könnte. Zusätzlich wird durch das enge Anforderungskorsett der Taxonomie eine künftige Modernisierung von bestehenden Gas-KWK ebenfalls behindert.
Nächste Schritte
Aufgrund der ihnen im Rahmen der Taxonomie-Verordnung zugewiesenen Expertenrolle können die „Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen“ und die „Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen“ nun bis zum 21. Januar ihre Stellungnahmen vorlegen. Im Anschluss wird die Kommission den Rechtsakt förmlich annehmen und Rat und Europäischem Parlament zur Prüfung übermitteln. Anschließend haben Parlament und Rat vier Monate Zeit, gegebenenfalls Einwände zu erheben. Diese Einspruchsfrist kann noch einmalig um zwei Monate verlängert werden. Einsprüche des Rats erfordern eine verstärkte qualifizierte Mehrheit, also mindestens 72 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Bevölkerung vertreten. Das Europäische Parlament seinerseits kann mit einfacher Mehrheit Einwände erheben. Sofern innerhalb des Prüfungszeitraums keine Einwände erhoben werden, tritt der (ergänzende) delegierte Rechtsakt nach Ablauf des Prüfungszeitraums in Kraft.