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Bundesregierung ruft „Alarmstufe“-Gas aus

29.06.2022
Am vergangenen Donnerstag hat Bundesminister Habeck die zweite Stufe des dreistufigen „Notfallplans Gas“ – die sogenannte – Alarmstufe ausgerufen. Welche Auswirkungen hat dieser Schritt für die Branche?

Wie bereits zuvor kolportiert, wurde die Ausrufung der Alarmstufe am 23.06. im Rahemen  einer Pressekonferenz verkündet. Grundlage der Entscheidung ist „…eine Störung der Gasversorgung [vorliegt], die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt…“. Zu diesem Ergebnis kam das Ministerium, nachdem bereits in der Vorwoche die Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream I um rund 60 % gedrosselt wurden und auch die bisherigen Liefermengen über die mitteleuropäischen Pipelines schon seit längerem rückläufig waren.

Im Gegensatz zu der bereits im März ausgerufenen Frühwarnstufe löst dieser Schritt nicht nur Informationspflichten für verschiedene Akteure aus, sondern hat auch für Anlagenbetreiber – und damit auch für Fernwärmeversorger – konkrete Konsequenzen.

Welche zusätzlichen Verpflichtungen kommen auf Kraftwerksbetreiber zu?

Der Kabinettsentwurf des Ersatzkraftwerksbereitstellungsgesetzes (EKWG) sieht weitreichende Maßnahmen vor, um den Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung zu begrenzen und stattdessen kohle- und ölgefeuerte Stromerzeugungsanlagen verstärkt einzusetzen.

Demnach wird die Bundesregierung nach Ausrufung der Alarmstufe befugt, eine Rechtsverordnung zu erlassen, die u. a. Betreiber von Anlagen in der Netzreserve dazu verpflichtet für einen befristeten Zeitraum am Strommarkt teilzunehmen (daran wird gerade im Ministerium fieberhaft gearbeitet)

Darüber hinaus werden die Anlagenbetreiber verpflichtet die Betriebsbereitschaft ihrer nicht gasgefeuerten Anlagen herzustellen. Dazu zählt vor allem die ausreichende Bevorratung mit Brennstoff. So müssen Kohlekraftwerksbetreiber genügend Brennstoff vorhalten, um mindestens 60 Tage Vollastbetrieb gewährleisten zu können, bei Ölkraftwerken 10 Tage.

Für Anlagen, die an der Betriebsbereitschaft teilnehmen, ist eine Vergütung für die zusätzlich entstandenen Kosten vorgesehen. Diese setzt sich zusammen aus Kosten für die Vorhaltung und Wiederherstellung der Anlage sowie für anfallende Opportunitäts- und Arbeitskosten. Eine weitere Präzisierung und Detaillierung steht allerdings noch aus.

Der wohl derzeit am kontroversesten diskutierte Paragraph (§ 50 f) sieht vor, den Einsatz von Erdgas zur Stromerzeugung zu begrenzen, indem für den Betrieb der gasgefeuerten Anlagen eine zusätzliche Pönale verhängt wird. Zwar sieht der Entwurf die Möglichkeit vor KWK-Anlagen von dieser Pönale auszunehmen, allerdings bleibt der Gesetzesentwurf auch hier bislang sehr vage.

Laut aktuellem Zeitplan soll das Gesetz final am 8. Juli vom Bundesrat verabschiedet werden. Der Minister hat bereits angekündigt, dass bis zu diesem Stichtag die jeweiligen Rechtsverordnungen ausgearbeitet sein sollen, um zeitnah in Kraft gesetzt zu werden.

Was fordert der AGFW?

Der AGFW hat sich vor allem dafür ausgesprochen, die öffentlichen KWK-Anlagen von der Pönalisierung auszunehmen, da diese in den Fernwärmesystemen zur Aufrechterhaltung der Wärmeversorgung dringend benötigt werden. Auch würde eine Pönale Versorgungsunternehmen und Endkunden zusätzlich belasten, ohne eine Lenkungswirkung zu erzielen. Letzteres vor dem Hintergrund, dass bei einer akuten Gasmangellage die Preise sowieso schon prohibitiv hoch sind und Gas nur noch dort eingesetzt wird, wo es nicht anders geht.

Um den Einsatz von kohle- oder ölbasierten Anlagen und ungekoppelten Erzeugern im Fernwärmesystem zu ermöglichen, haben wir zudem darauf hingewiesen, dass emissions- und genehmigungsrechtliche Regelungen sowie die energetischen Kennwerte für Wärmenetze entweder aufgehoben, ausgesetzt oder neutralisiert werden sollten. Die detaillierte Positionierung finden Sie online.

Aktivierung des außerordentlichen Preisanpassungsrechts nach § 24 EnSiG

Außerdem bietet die Alarmstufe die Möglichkeit die Regelungen zum außerordentlichen Preisanpassungsrecht, des erst in diesem Frühjahr eingeführten § 24 des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG), auszulösen, indem die Bundesnetzagentur (BNetzA) erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland feststellt. Zwar hat BNetzA Präsident Müller betont, diese Option derzeitig noch nicht zu ziehen, dennoch rückt die Anwendung des Paragraphen immer näher. Ein kolportierter Auslöser könnte die jährliche Revision der Pipeline Nordstream I sein, die für Mitte Juli terminiert ist.

Entgegen der Empfehlung des AGFW (Stellungnahme vom 4. Mai 2022) wurden Fernwärmeversorgungsunternehmen nicht ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen. Obwohl selbst der Bundestagsauschuss für Klimaschutz & Energie dafür plädiert hat „… Unternehmen, die Erdgas zur Erzeugung von Wärme einsetzen, ein außerordentliches Preisanpassungsrecht…“ einzuräumen, wurde die Schaffung einer klaren Regelung vertagt.

Der derzeitig geltende Gesetzestext bietet Interpretationsspielraum, inwieweit auch Fernwärmeversorger ihren Kunden gegenüber ein außerordentliches Preisanpassungsrecht besitzen. Näheres dazu lesen Sie in folgendem Artikel.

Der AGFW hat sich nicht nur in den zuvor genannten Stellungnahmen für eine Ausnahmeregelung für gasbetriebene KWK-Anlagen im EKWG und die Aufnahme der Fernwärme in das EnSiG stark gemacht, sondern hat diese Forderung auch im Rahmen der Sachverständigenanhörung zum vorliegenden Gesetzesentwurf im Bundestagsausschuss für Klimaschutz & Energie mit Nachdruck vertreten.

Ihre Ansprechpartner
Johannes Dornberger
Energiewirtschaft & Politik
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