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Anspruch auf Erteilung von Wegenutzungsrechten für Fernwärmeleitungen ohne Ausschreibung

22.09.2020
Das Urteil des OLG Stuttgart vom 26. März 2020 hat in Frage gestellt, ob Fernwärmeversorger gegenüber Kommunen einen Anspruch auf Abschluss von Wegenutzungsverträgen haben. Ein vom AGFW beauftragtes Rechtsgutachten hat ergeben, dass ein solcher Anspruch besteht. Das Gutachten wurde jüngst in Buchform veröffentlicht.

Das am 26. März 2020 ergangene Urteil des OLG Stuttgart zu Wegenutzungsverträgen für Fernwärmeleitungen (Gestattungsverträge) sorgte für große Aufmerksamkeit in der Branche. Bekanntlich fordert die Landeshauptstadt Stuttgart von EnBW die Herausgabe des Fernwärmesystems, nachdem der vormals bestehende Gestattungsvertrag beendet worden ist.

Das OLG Stuttgart entschied, dass einerseits die Landeshauptstadt Stuttgart keinerlei Ansprüche auf Herausgabe des Fernwärmesystems habe. Denn weder gehöre ihr das Fernwärmesystem noch gebe es vertragliche Ansprüche auf Übertragung des Systems. Andererseits habe EnBW mangels Gestattungsvertrags keinen Anspruch mehr darauf, dass die Stadt die Leitungen in ihrem Grund und Boden dulden müsse. Folglich müsse EnBW die Leitungen ausbauen. Eine Pattsituation also, wie das Gericht freimütig bekundete.

Der AGFW vertritt seit jeher die Rechtsauffassung, dass Fernwärmeversorgungsunternehmen gegenüber der Kommune einen kartellrechtlichen Anspruch auf Abschluss eines Gestattungsvertrags haben. Das beruht auf dem Wegemonopol der Kommunen. Diese Auffassung wurde bereits 2012 durch den Abschlussbericht des BKartA zur Sektoruntersuchung Fernwärme bestätigt. Da sich das OLG Stuttgart dieser These nicht anzuschließen vermochte, hat der AGFW – unterstützt durch seinen Expertenkreis „Recht“ – Prof. Körber mit einem Rechtsgutachten zur Untersuchung der kartellrechtlichen Ansprüche auf Abschluss von Gestattungsverträgen beauftragt. Das Gutachten des renommierten Kartellrechtlers an der Universität zu Köln ist nunmehr im Jenaer Wissenschaftlichen Verlag erschienen.

Das Gutachten gelangt zum Ergebnis, dass Fernwärmeversorgungsunternehmen gegenüber der Kommune ein Recht auf Abschluss eines Gestattungsvertrags haben. Die Kommune darf den Vertragsschluss nicht mit dem Argument verwehren, sie werde keine Gestattungsrechte gewähren, weil sie entweder gar keine Fernwärmesysteme im Ortsgebiet sehen oder aber sie Fernwärmesysteme selbst in Eigenregie betreiben wolle. Denn dann würde die Kommune den Versorger unzulässig diskriminieren, jedenfalls aber unbillig behindern (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB). Darüber hinaus handelt es sich beim kommunalen Wegenetz um ein Netz bzw. um eine Infrastruktureinrichtung im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB; diese Vorschrift gewährt Zugangsansprüche auch dann, wenn der Netzbetreiber seine Infrastruktur nicht zur Verfügung stellen will. Das Fernwärmeversorgungsunternehmen hat auch auf dieser Grundlage einen Anspruch auf Abschluss eines Gestattungsvertrags. Selbst wenn man wie das OLG Stuttgart davon ausgeht, dass der Straßenkörper nach derzeitiger Rechtslage von dieser Vorschrift nicht erfasst wird, so sorgt die anstehende GWB-Novelle künftig für Klarheit: Dann wird jede sog. wesentliche Einrichtung (Essential Facility) von der Vorschrift erfasst werden, folglich auch der für den Aufbau von leitungsgebundenen Medien essenzielle Straßenkörper. Darüber hinaus trifft die Argumentation von Kommunen nicht zu, sie müssten den Abschluss von Gestattungsverträgen ausschreiben. Weder ist die Ausschreibung eines Gestattungsrechts für Fernwärmeleitungen erforderlich noch ist die Kommune dazu berechtigt.

Hat also ein Fernwärmeversorgungsunternehmen einen Anspruch auf Abschluss eines Gestattungsvertrags, folgt daraus die Pflicht der Kommune, die Fernwärmeleitungen in ihrem Straßenkörper zu dulden. Anders als das OLG Stuttgart annimmt, muss das Fernwärmeversorgungsunternehmen also nicht die Fernwärmeleitungen ausbauen.

Das Urteil des OLG Stuttgart ist nicht rechtskräftig. Zwar hat das Gericht die Revision zum BGH nicht zugelassen. Beide Prozessparteien haben aber dagegen Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der BGH wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres über die Nichtzulassungsbeschwerde verhandeln.

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