Aktuelles aus dem Bereich

Energiewirtschaft, Recht & Politik / Energiewende & Politik / Aktuelles aus dem Bereich

Gemeinsame Erklärung zum Fernwärmegipfel: Wärmenetze klimaneutral um- und ausbauen

12.06.2023
Der Aus- und Umbau der Fern- und Nahwärme ist für das Erreichen der Klimaschutzziele von herausragender Bedeutung. Effiziente und perspektivisch treibhausgasneutrale Wärmenetze sind ein zentraler Baustein zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung. Diese ist dringlicher denn je: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, dass die starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen weder Versorgungs- noch Kostensicherheit bringt.

Der Wärmebereich wird zudem ohne entschlossenes, schnelles Umsteuern nicht seinen Beitrag zum gesetzlichen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichen können. Für die Wärmeversorgung folgt daraus, dass die bislang dominierenden fossilen Energieträger Erdgas und Heizöl innerhalb von rund 20 Jahren ersetzt werden müssen. Diese tiefgreifende Transformation stellt Gebäudeeigentümer:innen, die Energiewirtschaft und gewerbliche Wärmekund:innen vor erhebliche Herausforderungen. Wärmenetze können eine flexible und – im Vergleich mit anderen Heizungsarten - besonders
kosteneffiziente klimaneutrale Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen oder Stadtquartieren sein. Denn sie ermöglichen es, den Wärmebedarf ohne Neuinstallation einer Einzelheizung aus zentralen, zukünftig erneuerbaren Quellen zu decken. Zudem können sie verschiedene erneuerbare Energiequellen und unvermeidbare Abwärme in die Wärmeversorgung integrieren und besonders effizient die Nutzung von Strom und Wärme miteinander verbinden. Sie sind damit besonders geeignet für eine schrittweise und sozialverträgliche Transformation. Damit Wärmenetze ihre Vorteile ausspielen können, bedarf es eines verlässlichen Rahmens für Anbieter und Kund:innen, der einerseits die notwendigen Anreize für den Ausbau und die Dekarbonisierung der Wärmenetze setzt und andererseits eine kosteneffiziente Versorgung von Wohn- und Nichtwohngebäuden gewährleistet.

Wärmenetz-Ausbau

Die Unterzeichnenden eint das Ziel, Wärmenetze überall dort auf- und auszubauen, wo die leitungsgebundene Wärmeversorgung Kostenvorteile gegenüber einer dezentralen klimaneutralen Eigenversorgung aufweist. Sie wollen zugleich dafür sorgen, dass die Wärme in den Netzen sukzessiv klimaneutral erzeugt wird. Die Voraussetzungen dafür sind in Deutschland gut. Zahlreiche Studien zeigen, dass Wärmenetze in vielen – vor allem städtischen und verdichteten – Gebieten die kostengünstigste Option für klimaneutrale Wärme bieten. Zudem stellen Nahwärmenetze eine bürgernahe Option dar, Wohnquartiere gemeinschaftlich
mit klimaneutraler Wärme zu versorgen. Mit einem deutlich beschleunigten Ausbau der Wärmenetze soll sich die Anzahl der angeschlossenen Gebäude bis 2045 gegenüber heute in etwa verdreifachen, d.h. es sollen mittelfristig jährlich mindestens 100.000 Gebäude neu an Wärmenetze angeschlossen werden. Um diesen dynamischen Aus- und Umbau zu erreichen, ist ein stabiler und verlässlicher Rahmen notwendig, der die Nutzung erneuerbarer Energien in Nah- und Fernwärmenetzen für Endkund:innen zu einer attraktiven Wahl macht und der die erforderlichen Investitionen anreizt. Der aktuelle rechtliche und förderpolitische Rahmen soll hierfür deutlich verbessert werden.


1) Mit dem Bundesgesetz für die Wärmeplanung, der aktuellen Novelle des Gebäudeenergiegesetzes sowie den begleitenden Förderprogrammen soll möglichst schnell ein klarer Rahmen dafür geschaffen werden, in welchen Gebieten innerhalb der nächsten 10 Jahre Wärmenetze auf- und ausgebaut werden sollen. Wenn ein Wärmenetzbetreiber einen solchen Ausbau verbindlich verfolgt, sollten daran interessierte Gebäudeeigentümer:innen, die sich an dieses Netz anschließen werden, von der Pflicht zum Einbau einer die 65-Prozent-Vorgabe für erneuerbare Energien erfüllenden Heizung befreit werden.
2) § 556c BGB und die Wärmelieferverordnung spielen eine wichtige Rolle bei dem Ziel, den Wärmenetzausbau im Mietwohnungsbestand zu erleichtern und Mieter:innen bezahlbares, klimaneutrales Heizen zu ermöglichen sowie auch die zunehmende Wärmelieferung aus erneuerbaren Energien und Abwärme zu befördern. Sie werden in der aktuellen Form jedoch als ein Hemmnis für den Anschluss bestehender Gebäude an Wärmenetze wahrgenommen. Wir treten daher an das federführende Bundesministerium der Justiz heran, um gemeinsam zu prüfen, wie wir diese Regelungen zukunftsgerichtet unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen so ausgestalten können, dass sowohl der Fernwärmeausbau vorangebracht als auch der Mieterschutz gewahrt wird.
3) Dabei muss sichergestellt werden, dass der Schutz von Kund:innen auf einem hohen Niveau gewährleistet bleibt und gestärkt wird, etwa durch mehr Preistransparenz und die Einrichtung einer Schiedsstelle. Unser Ziel ist es, die Attraktivität von Fern- und Nahwärme für Neukund:innen zu steigern, so dass die Anwendung des Anschluss- und Benutzungszwangs, die in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen liegt, möglichst vermieden werden kann.
4) Die Novellierung der AVBFernwärmeV soll zügig abgeschlossen werden. Hierbei sollen Investitionsanreize und Vertragsgestaltung sowohl für Wärmenetzbetreiber als auch für Gebäudeeigentümer:innen besser in Einklang gebracht und Verbraucher:innenrechte gestärkt werden.
5) Die Unterzeichnenden setzen sich für einen adäquaten und gesetzlich abgesicherten Förder- und Finanzierungsrahmen für den Wärmenetzausbau ein, einschließlich der Förderung von Hausanschlüssen.

Dekarbonisierung von Wärmenetzen

Die unterzeichnenden Akteur:innen bekennen sich zum Ziel, die Fern- und Nahwärme zu einer klimaneutralen sowie für Unternehmen und Verbraucher:innen wirtschaftlich attraktiven Option zu machen. Bis spätestens 2045 sollen alle Wärmenetze vollständig dekarbonisiert werden. Für das Jahr 2030 streben wir insgesamt einen Anteil von 50 % Wärme aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme an, wobei eine flexible Umsetzung in Abhängigkeit von der lokalen Situation und dem Alter der vorhandenen Anlagen möglich sein soll.
Wir werden gemeinsam Hemmnisse für den Aus- und Umbau der Netze sowie für die Nutzung neuer klimaneutraler Wärmequellen in Wärmenetzen identifizieren und abbauen. Dazu gehören z. B. die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, eine Risikoabsicherung bei der Erschließung klimaneutraler Wärmequellen, die Anschlussbedingungen für neue Einspeiser in Wärmenetze, die Erhöhung der Akteursvielfalt sowie die erforderliche Digitalisierung.

Darüber hinaus gilt es, bei der Abwärmenutzung insbesondere finanzielle Risiken bei der Erschließung industrieller Abwärme abzusichern, die Einspeisung von Abwärme aus
Müllverbrennungsanlagen zu erleichtern, neue Potenziale etwa aus Abwasser zu erschließen, das Energieeffizienzgesetz zur Einbindung von Abwärme aus Rechenzentren wirksam und praxistauglich umzusetzen und Elektrolyseure möglichst an Standorten mit Wärmenetzanschluss aufzubauen, ohne dabei den zügigen Hochlauf der Wasserstofferzeugung zu behindern.

Beim Einsatz von Großwärmepumpen sollen die Datenbasis verbessert und Fördermöglichkeiten geprüft werden. Zudem sind Zielkonflikte und rechtliche Hindernisse bei der Nutzung der Oberflächengewässer oder bei der Trinkwasserbereitstellung abzubauen.

Die Nutzung oberflächennaher Geothermiepotenziale soll beschleunigt und die Tiefengeothermie durch eine Explorationskampagne, ein Beschleunigungsgesetz sowie ein System zur Risikoabsicherung stärker angereizt werden.

Zur Beschleunigung der Solarthermienutzung in Wärmenetzen soll eine Privilegierung im Baugesetzbuch zügig geprüft werden, um der notwendigen Ortsnähe der Anlagen Rechnung zu tragen. Zudem wird auch die Bioenergie auf absehbare Zeit weiterhin zur Fernwärmeversorgung beitragen.

Zur effizienten Nutzung der vielfältigen klimaneutralen Wärmequellen soll zudem der Bau von Wärmespeichern vorangebracht werden. Damit wird gleichzeitig die effiziente Kopplung von Strom- und Wärmesektor gestärkt, etwa durch die Nutzung überschüssig erzeugten Stroms, entsprechend dem Prinzip „Nutzen statt Abschalten“. Für Investitionen in zukunftsfähige Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) wird das BMWK mit der
Kraftwerksstrategie einen klaren Rahmen setzen, der auch den Übergang auf Wasserstoff für den KWK-Betrieb ab 2030 umfasst und so die Versorgungssicherheit gewährleistet. Dazu gehört auch das Ziel, auf der Grundlage des KWKG und der BEW einen einheitlichen und sicheren Rechts- und Förderrahmen für klimaneutrale Wärmenetze zu schaffen.

Die Unterzeichnenden wollen die Einführung und Nutzung von Herkunftsnachweisen für grüne Wärme voranbringen und dadurch die Wettbewerbsfähigkeit klimaneutraler Fernwärme gerade auch bei Großkunden steigern. Insbesondere Industriebetriebe und Gewerbebetriebe können dadurch einen zusätzlichen Anreiz für den Anschluss an ein Fernwärmenetz erhalten. Ebenso wird die Einrichtung eines Wärmenetzregisters unterstützt, um die Datenlage der Fernwärmewirtschaft in Deutschland zu verbessern.

Die Fern- und Nahwärmebranche wird die verbesserten Rahmenbedingungen für einen zügigen Ausbau des Fernwärmesystems nutzen und ihr Engagement zur Erstellung von Transformationsplänen für die Wärmenetze zur Einbindung erneuerbarer Energien sowie unvermeidbarer Abwärme weiter verstärken. Besonderes Augenmerk wird sie hierbei auf Konzepte zur Abwärmenutzung in Wärmenetzen legen.

Industrie und Gewerbe sowie Rechenzentren werden ihr Engagement zur Stärkung der klimaneutralen Fernwärme erhöhen, etwa durch die Ermittlung unvermeidbarer Abwärmepotenziale, und gemeinsam mit Wärmenetzbetreibern an Lösungen arbeiten, um diese verstärkt für die leitungsgebundene Wärmeversorgung nutzen zu können. Darüber hinaus werden die Industrie- und Unternehmensverbände aktiv dazu beitragen, dass bei Unternehmen die Fernwärme als verlässliche und klimafreundliche Energieversorgung stärker in den Fokus rückt.


Verfügbarkeit von Anlagen und Fachkräften

Hersteller und Betreiber von Anlagen werden einen Schwerpunkt auf den Bau neuer Anlagen zur erneuerbaren Wärmeerzeugung und -verteilung legen, die zur Fernwärmeversorgung beitragen können und die Investitionen in Produktionsanlagen deutlich erhöhen. Dazu werden bei der Planung sowie im Leitungs-, Anlagen- und Tiefbau absehbar erhebliche zusätzliche Personalressourcen benötigt.

Die Unterzeichnenden werden gemeinsam den Bedarf an neuen Fachkräften und Fachbetrieben adressieren und Maßnahmen identifizieren, der Knappheit insbesondere durch
Aus- und Weiterbildung wirksam zu begegnen und die Attraktivität der Branche für Beschäftigte sicherzustellen.

Zudem werden wir unter Federführung des BMWK und des BMWSB eine Kampagne entwickeln und gemeinsam starten, die das öffentliche Bewusstsein für die positive Rolle klimaneutraler Fern- und Nahwärme als verbraucherfreundliche Dekarbonisierungsoption stärkt und zur Akzeptanz für Ausbaumaßnahmen beiträgt.

Die Unterzeichnenden werden ab dem Sommer 2023 vertiefende Workshops zu zentralen Handlungsfeldern wie etwa Preistransparenz und Verbraucherschutz, Einbindung erneuerbarer Energien und Abwärme sowie den Förderrahmen für den Ausbau und die Transformation der Nah- und Fernwärme organisieren, um gemeinsame Lösungen abzustimmen. Diese Absichtserklärung dient als gemeinsame Basis für den Start in die
konkrete Umsetzung und als Signal der gegenseitigen Unterstützung bei der Umsetzung der beschriebenen Aufgaben und Maßnahmen.

Gemeinsam machen es sich die Unterzeichnenden zum Ziel, den Um- und Ausbau der klimaneutralen Nah- und Fernwärme deutlich zu beschleunigen.


8KU, AGFW, BDEW, BEE, Bundesverband Fernwärmeleitungen, B.KWK, BMWK, BMWSB, BSW,
Bundesverband Geothermie, BVES, BWP, DENEFF EDL_HUB, DGRV, DMB, Deutscher Städtetag,
DGB, DUH, eco Verband, GdW, Rohrleitungsbauverband, Städte und Gemeindebund, VEDEC,
ver.di, VKU, vzbv,

Ihre Ansprechpartner
John A. Miller
Stv. Geschäftsführer, Bereichsleiter Energiewirtschaft & Politik
+49 69 6304-352
+49 69 6304-455